18. Hinweise auf die Häufigkeit von Wörtern und Worteigenschaften

Das Frühneuhochdeutsche ist keine Informanten-, sondern eine Corpussprache, genauer: eine Großcorpussprache. Theoretisch müßten also exakte Häufigkeitsangaben möglich sein, jedenfalls unter der Voraussetzung der statistischen Repräsentation der Gesamtheit aller frühneuhochdeutschen Texte im Quellencorpus. Diese Voraussetzung ist nach dem in 6. Die Quellen des Wörterbuches Gesagten allerdings schon deshalb nicht gegeben, weil die quantitativ stärkste und qualitativ ergiebigste Quellengruppe, die Ausgabenglossare (vgl. 6.1.1.), sich nach wissenschaftsgeschichtlichen, damit -soziologischen und -ideologischen Gewichtungen richtet und die Verzettelung diesen Gewichtungen folgt. Zur Vermeidung jeder Suggestion einer größeren quantitativen Exaktheit, als sie tatsächlich vorhanden ist, sei deshalb explizit gesagt: Alle Häufigkeitshinweise beziehen sich ausschließlich auf das Vorkommen des Wortes oder einer seiner Eigenschaften im lexikographisch verzettelten Teil des Corpus, also nicht einmal auf das Vorkommen im Corpus überhaupt, erst recht nicht auf das Vorkommen in der Menge aller überlieferten Texte oder gar in all dem, was in frühneuhochdeutscher Zeit geschrieben bzw. gesprochen wurde, ohne überliefert zu sein. Hochrechnungen aller Art sind ausgeschlossen.

18.1. Es gibt implizite und explizite Häufigkeitshinweise.

18.1.1. Erstere ergeben sich insbesondere aus dem unterschiedlichen Umfang der Beleg(stellen)teile zu den einzelnen Bedeutungen. Obwohl dieser auch durch zusätzliche Faktoren, darunter vor allem die Ergiebigkeit der Belege unter pragmatischen und semantischen Aspekten (vgl. 17.7. und 17.8.), bestimmt wird, kann man doch aus dem Umfang des Beleg(stellen)teils grob auf die Häufigkeit der Belegung einer bestimmten Bedeutung schließen. Implizite Häufigkeitshinweise ergeben sich ferner aus der Entscheidung, Wortbildungen, die an der Grenze der Lexikalisierung liegen, auch (aber nicht nur) unter Häufigkeitsgesichtspunkten als eigene Lemmata anzusetzen (vgl. 5.2.1.2., Punkt (3)).

18.1.2. Die expliziten Häufigkeitshinweise, die im folgenden den alleinigen Gegenstand der Darstellung bilden, finden sich immer nur dann, wenn mindestens eine der nachstehend genannten Bedingungen zutrifft, nämlich:

  1. wenn der Belegbefund unter quantitativem Gesichtspunkt so auffallend ist, daß er gleichsam zu einem Hinweis auf die Häufigkeitsverhältnisse zwingt, sofern diese Verhältnisse nicht schon durch die impliziten Hinweise erkennbar sind,
  2. wenn der Lexikograph den Wörterbuchbenutzer auf Gegebenheiten aufmerksam machen möchte, die nach seinem Urteil sprachgeschichtlich besonders interessant sind, z. B. auf Wort- oder Worteigenschaftsvariation in einer der pragmatischen Verwendungsdimensionen (Raum, Zeit usw., vgl. 5.1.2.) als Vorstufe für Wortwandel. In diesem Falle besteht ein fließender Übergang zwischen Häufigkeitshinweisen und lexikographischem Kommentar (vgl. 19.).

Die Beachtung der vorstehenden beiden Bedingungen führt natürlich zu einer relativ sparsamen Verwendung von Häufigkeitshinweisen. Zwar wurde mir vereinzelt empfohlen, obligatorisch

  • hinter jedem Lemma die Gesamtzahl der Belege,
  • hinter jeder für eine Häufigkeitsmarkierung in Betracht kommenden Position (also z. B. hinter jeder Wortbedeutung) die Belegquantität für die gerade betroffene Eigenschaft (eventuell in Prozentzahlen, also relativ zu einer Bezugsgröße, darunter vor allem zur Gesamtbelegung)

anzugeben; ich habe aber den Sinn einer solch stringenten Dokumentation von Quantitäten für ein languebezogenes Bedeutungswörterbuch nie recht eingesehen131131. Damit ist selbstverständlich nichts gegen den Wert genauer Zahlenangaben bei anderen Untersuchungszielen gesagt; vgl. Lindgren, Apokope..

Daraus ergibt sich, daß statt absoluter Zahlen ausschließlich normalsprachliche Kennzeichnungen verwendet werden, und zwar weitgehend standardisiert durch eine offene Reihe von Ausdrücken wie häufig, meist, mehrmals, vor allem, vereinzelt, selten, auch, zum Teil, schwach belegt usw. Diese Ausdrücke gewinnen ihren Aussagewert immer nur aus dem jeweiligen beschreibungssprachlichen Zusammenhang. Je nach Zusammenhang steht deshalb jeder Hinweis für unterschiedliche absolute Werte: Mehrmals z. B. verweist bei großer Belegdichte also auf einen höheren absoluten Wert als bei weniger dichter Belegung; es kann sogar auf eine größere Häufigkeit deuten als z. B. häufig bei schwacher Belegung.

18.2. Häufigkeitshinweise können prinzipiell in jeder Artikelposition vorkommen; ihre typische Form wird im folgenden an Beispielen [durch Pfeile anschaulich herausgehoben] vorgeführt und – falls notwendig – kurz kommentiert:

  1. zum Wort als Ganzem, vgl.: abspringen [...]; [→] schwach belegt. – Es handelt sich hierbei um einen lexikographischen Kommentar zur Belegquantität, der gemäß 18.1.2., Punkt (1), angebracht wurde, um die im Vergleich zum DWB, Neub., zu Wrede, Aköln. Sprachsch. (usw.) schwache Belegung bewußt zu machen.
  2. zu Wortvarianten, vgl.: abbrennen ([→] auch mit r-Metathese [...]); abrechen, [→] häufig 1abrechnen.
  3. zur Morphologie, vgl. (für das Genus): 2abzucht [→] meist die, [→] seltener der; (für die Flexion): abenteuer [...]; -, [→] seltener: -s/-Ø; (für die Wortbildungsmorphologie): abgrund [...], daneben abgründe [...]; letztere Form im 14. und 15. Jh. [→] vorherrschend.
  4. zur etymologischen Entwicklung, vgl. 2abzucht [...] volksetymologische Formgebung, nach der die zweite Silbe [→] überwiegend zu -zucht, die erste [→] tendenziell zu ab- wird.
  5. zur Bedeutungserläuterung, und zwar a) zu Aspekten des gesamten Bedeutungsspektrums, b) zu Einzelbedeutungen, c) zu Varianten der Einzelbedeutungen, vgl. (ad a): abfaren [...]; [→] meist in fachsprachlichen und figürlichen Verwendungen belegt; (ad b): abendmal [...]. 1. ›Abendmahlzeit [...]‹. [...] [→] schwach belegt; (ad c): abtragen [...], 2. ›[...] etw. [→] (meist Geld) unterschlagen [...]‹; abtrennen [...]. 1. ›[...] sich von etw. lösen [...]‹; [...] [→] z. T. in bildl. Verwendung.
  6. zu den Symptomwortangaben, vgl. (zum Raum): abenteuer [...]. 1. ›[...] ritterliche Bewährungsprobe [...]‹. [...]. – [→] Vorw. obd., [→] gehäuft wobd.; (zur Zeit): abscheu [...]. – [→] Vorw. späteres Frnhd.; (zur Textsorte): abtreiben [...]. 10. ›[...] (die Leibesfrucht) abtreiben‹. – [→] Vorw. rechtsgeschichtliche Texte.
  7. Zur onomasiologischen Vernetzung einer Bedeutung, vgl.: abenteuer [...]. 9. ›Posse [...]‹. – Bdv.: posse [→] (mehrmals).
  8. zur Syntax, vgl.: abbrechen [...]. 15. ›mit etw. aufhören [...]‹. – [→] Meist ohne Obj.; abtun [...]. 2. ›etw. (z. B. eine Haltung) aufgeben [...]‹. [...]. – Synt.: [→] meist mit Gen. d. P. oder S. [...]; [→] selten mit Akk.; abenteuer [...]. 1. ›[...] ritterliche Bewährungsprobe [...]‹. [...] – Synt.: a. suchen (→) [oft].
  9. zu bestimmten Belegtypen, vgl.: abend [...]. – [→] Besonders häufig sind sprichwörtliche [...] Verwendungen. – Es handelt sich hierbei um einen lexikographischen Kommentar zur Quantität bestimmter Typen von Belegbeispielen.