14. Positionen des Wörterbuchartikels. VII: Angaben zur onomasiologischen Vernetzung des Wortes

Der Ausdruck onomasiologische Vernetzung des Wortes ist eine fachsprachliche Kurzform für onomasiologische Vernetzung jeder Einzelbedeutung eines Wortes, da die Zugehörigkeit zu onomasiologischen (= Trierschen) Feldern ausschließlich für die Einzelbedeutungen (Sememe), nicht für das Signifikat als Gesamtbedeutung des Wortes gilt. Dementsprechend kann es für die Angaben zur onomasiologischen Wortvernetzung nur eine einzige, nämlich in Verbindung mit der Erläuterung der Einzelbedeutung stehende Artikelposition geben. Sie folgt, durch den Gedankenstrich abgetrennt und durch die Sigle bdv. (= bedeutungsverwandt) eingeleitet, auf die Position VI. Die Angabe von Symptomwerten; man vgl.:

abendmal [...]. 2. ›Sakrament des heiligen Abendmahls‹. – Nobd., md.; seit der 2. Hälfte des 15. Jhs.; vorw. religiöse und didaktische Texte. – Bdv.: vgl. abendbrot 2.

abenteuer [...]. 1. ›[...] ritterliche Bewährungsprobe [...]‹. [...]. – Vorw. obd.; [...]; 14./15. Jh.; fiktionale, archaisierende und historisierende Texte. – Bdv.: kampf, streit; buhurt, turnei, freise.

14.1. Die Angaben zur onomasiologischen Vernetzung des Wortes dienen erstens der Beantwortung der textbezogenen Benutzerfrage nach dem Stellenwert einer Wortbedeutung im Zusammenhang mit bedeutungsverwandten Wörtern (vgl. 4.3.2.2.), damit zugleich der Identifikation und Abgrenzung von Bedeutungen. Sie dienen zweitens der Beantwortung texttranszendierender Fragen der in 4.3.3. aufgelisteten Ausrichtungen. Sie haben damit einen als sehr hoch zu veranschlagenden Informationswert, insbesondere für die komplizierteren, über das einfache Beheben von Wort- und Wortbedeutungslücken hinausgehenden Fragestellungen. Obwohl der Nutzen onomasiologischer Angaben auch semasiologischer Wörterbücher in der lexikographischen Literatur unbestritten ist, gibt es in der Wörterbuchgeschichte des Deutschen keine systematischen praktischen Vorbilder116116. Eine Zusammenstellung dieser Ansätze findet sich bei Reichmann, Oskar, Historische Lexikographie. In: Sprachgeschichte 1, 1984, S. 471–474.. Die Herausgeber des Frühneuhochdeutschen Wörterbuches betrachten die Beschreibung der onomasiologischen Vernetzung des Wortschatzes als eine vordringliche Aufgabe, die Einbettung eines onomasiologischen Beschreibungsteils in die semasiologische Bedeutungserläuterung als eines der Charakteristika ihres Wörterbuches. Sie hoffen, daß der im folgenden unterbreitete Beschreibungsvorschlag eine Basis bilden kann weniger für die im strengen Sinne einsprachige Lexikographie (diese hat in den synonymischen Teilen der Bedeutungserläuterung ja eine onomasiologisch interpretierbare Komponente117117. So Wiegand 1983 [vgl. Anm. 84].) als für die varietätenbezogene (also dialekt-, historiolekt-, soziolektbezogene usw.) Lexikographie. Der Vorschlag enthält elf Punkte, von denen die beiden letzten ausschließlich beschreibungstechnischer Natur sind.

(1) Will man nicht die semasiologische Basis eines Wörterbuches in Frage stellen, dann können die onomasiologischen Beschreibungsteile nur kumulative Reihungen bedeutungsverwandter Wörter sein. D. h., die Feldangehörigen können lediglich genannt, nicht dagegen voneinander distinguiert werden118118. Zur Terminologie: Hausmann 1977 [vgl. Anm. 57], S. 96.; dies letztere würde bei konsequenter Durchführung nämlich bedeuten, daß all dasjenige, was an Differenzierungen zur Beschreibung des semasiologischen Feldes geleistet wurde, an ganz anderer Stelle in einem onomasiologischen Teil noch einmal wiederholt würde. Kumulative onomasiologische Feldangaben als Annex zur semasiologischen Erläuterung der Einzelbedeutung haben also folgende Form:

abbruch [...]. 4. ›Enthaltsamkeit [...]‹. [...] Bdv.: abstinenz, enthaltung, entziehung, mas, mässigkeit, mässigung.

Die einheitliche Verwendung des Kommas zwischen den Feldangehörigen und deren alphabetische Reihenfolge besagen, daß im Beispieleintrag auch nicht ansatzweise eine interne Gliederung des Feldes versucht wurde.

(2) Diese letzte Formulierung deutet an, daß in einer Reihe von Fällen Gruppierungen der Feldangehörigen möglich sind, ohne daß der kumulative Charakter der Aufreihung gesprengt wird. Solche Gruppierungen werden nach dem Grade der inhaltlichen Nähe der Feldwörter gleichsam in zwei Stufen vorgenommen.

(a) Immer dann, wenn bestimmte Feldwörter nach dem semantischen Urteil des Lexikographen mit bestimmten anderen Feldwörtern besonders eng zusammenhängen, ohne daß dies linguistisch ohne Aufwand begründbar wäre, erfolgt eine Gruppierung, die dieses Urteil spiegelt. Dabei wird das Alphabetprinzip logischerweise aufgegeben, das Komma als Interpunktionszeichen aber beibehalten, vgl. buch, märe, rede, gespräch, geschichte, reim, spiel, lied, gesang zu abenteuer 6 ›Erzählung [...]‹.

lied und gesang, aber auch rede und gespräch wurden intuitiv in besondere Bedeutungsnähe gebracht.

(b) Immer dann, wenn ein Bedeutungsunterschied einfach begründbar ist, erfolgt eine Trennung der Gruppen mittels des Semikolons. Dies ist erstens der Fall, wenn ein bestimmtes Feldwort zu anderen im Verhältnis von genus zu differentia steht, vgl.

sakrament; antlas, vergebung, verzeihung, venie zu ablas 5. ›Vergebung der Sünden‹.

Es ist zweitens der Fall, wenn bestimmte Feldglieder gegenüber anderen ein offensichtlich besonderes und zudem einfach erläuterbares Inhaltsmerkmal haben, vgl. die Reihe

gnade, antlas, freiheit; büberei, misbrauch zu ablas 6. ›Erlaß der Sündenschuld o. ä.‹. Die letzten beiden Wörter dieses Feldes haben gegenüber den drei erstgenannten eine kaum bestreitbare negative Bedeutungskomponente. – Im übrigen zeigen Ausdrücke wie normalsprachliches semantisches Urteil, ohne Aufwand begründbar, kaum bestreitbar usw., daß die Stufen der Gruppierungsskala zwischen einerseits rein alphabetischen Wortkumuli, deren Einheiten durch Kommata getrennt sind, und andererseits Gruppen von Feldwörtern, die durch das Semikolon voneinander gesondert werden, entscheidend der unterschiedlich möglichen Begründung des Lexikographen unterliegen.

(3) Alle in den onomasiologischen Angaben aufgereihten Wörter sind lemmatisiert; sie werden an passender alphabetischer Stelle als Stichwort aufgeführt und semasiologisch unter einer der angesetzten Erläuterungspositionen so detailliert beschrieben, daß sie von allen anderen Feldangehörigen unterschieden werden können. Die kumulative Reihung kann vom Wörterbuchbenutzer also zu einer distinktiven umgestaltet werden, sofern er bereit ist, so viele Nachschlagehandlungen vorzunehmen, wie Feldwörter aufgelistet sind.

(4) Die Wörter eines onomasiologischen Feldes werden aus folgenden syntaktischen und textlichen Gegebenheiten gewonnen:

  • Mehrfachformeln (die im Frühneuhochdeutschen häufig begegnen)
  • Aufzählungen, Wortreihungen aller Art, deren Glieder zueinander im Verhältnis partieller Synonymie stehen
  • genitivi definitivi
  • stilistische Varianten des Textes, darunter insbesondere die Kohyponymie mehrerer semasiologischer Dimensionen119119. Zu diesen Termini vgl. man O. Reichmann [vgl. Anm. 17], S. 19–36.
  • Isotopielinien von Inkonymen (= Kohyponymen einer einzigen semantischen Dimension)
  • Isotopielinie differentia specifica – genus proximum – genera höherer Abstraktionsebenen
  • textinterne Worterläuterungen, Sacherläuterungen aller Art, insbesondere derjenigen, die nach dem Muster ‚Angabe von genus + specificum‘ erfolgen.

(5) Die Felder, die nach den unter (4) genannten Verfahren gewonnen werden, haben einen partiell anderen Status als die in der lexikologischen Theorie konzipierten Felder. Letztere nämlich sind Gruppen von Wörtern, die nach einem textunabhängig definierten Ausgangsbegriff zusammengestellt werden, wobei Herkunft und Auswahl des Ausgangsbegriffs sowie der mit ihm verfolgte wissenschaftliche Handlungszweck irrelevant sind. Die Felder des Frühneuhochdeutschen Wörterbuches dagegen sind Wortgruppen, die ausschließlich aus Textgegebenheiten gewonnen wurden, die damit die inhaltlichen Kategorisierungen von Texten spiegeln. Nur so ist es z. B. erklärbar, daß oben unter Punkt (2) als Feldwörter zu ablas 6 außer den dogmengeschichtlich nicht weiter verwunderlichen gnade, antlas auch büberei und misbrauch aufgeführt wurden, Wörter also, die eindeutig Wertungen von Textautoren enthalten, umgekehrt ausgedrückt: die man bei einer begriffsorientierten Konstituierung eines Feldes ›Sündenvergebung‹ wohl kaum als bedeutungsverwandt in eine Reihe mit gnade usw. gestellt hätte. – Dieses Verfahren ist zu begründen.

Es gibt zunächst einen methodischen Grund: Bei der Vorgehensweise des Bearbeiters nach dem Alphabet und bei Erstellung des Wörterbuchartikels aus Textexzerpten ist kein anderer Feldtyp möglich. Entscheidender aber ist ein Zweites – und das ist keine nachträgliche Rechtfertigung der vorgehensbedingten Beschränkung des lexikographischen Kenntnisstandes auf das Exzerpierte, sondern hat theoretische Gründe: Onomasiologische Felder (im Sinne Triers und seiner strukturalistischen Nachfolger) sind linguistische Konstrukte, mit denen der Lexikograph die semantische Vernetzung des Wortschatzes, d. h. das Wissen von Sprachbenutzern um lexikalische Bedeutungsbeziehungen und seine Anwendung im sprachlichen Handeln abzubilden versucht. Solche Konstrukte sind notwendigerweise von inhaltlichen Aspekten abhängig. Das heißt aber, daß es das onomasiologische Feld als ein für allemal bestehende fixe Größe nicht gibt, ja deshalb nicht geben kann, weil es den interesseunabhängigen logischen Ausgangsbegriff nicht gibt, sondern immer nur unterschiedlich begründete und dadurch sinnvoll erscheinende und konsensfähige Ausgangsbegriffe. Wenn es nicht einmal das fixe Einzelfeld gibt, dann ist natürlich erst recht eine onomasiologische Gesamtgliederung des Wortschatzes als Fixum ein auf einer im Ansatz verkehrten Sprachtheorie beruhendes Phantom. Die Frage, welche bedeutungsverwandten Wörter zu einer bestimmten Wortbedeutung angegeben werden, kann deshalb sinnvollerweise nur die Frage sein, nach welchen Inhaltskriterien die Zusammenstellung erfolgen soll. Die Antwort des Frühneuhochdeutschen Wörterbuchs lautet: genau nach dem Inhaltskriterium, das im jeweils exzerpierten Text in der Umgebung des jeweiligen Beleges eine Rolle spielt, und das damit als der onomasiologische Ausgangsbegriff fungiert, der in der lexikologischen Theorie für die Konstitution eines Feldes gefordert wird. – Damit hätten die gewonnenen Felder allerdings einzeltextspezifischen, d. h. parole-Charakter. Man kommt von ihnen ausgehend dadurch zu langue-Feldern, daß Einzeltexte immer einer Textsorte angehören, daß Textsorten Gegebenheiten eines Gesamtspektrums von Textsorten sind und daß dieses Spektrum von Angehörigen miteinander kommunizierender Gruppen immer wieder gruppenübergreifend angewandt wird. Ein aus einem Text A gewonnenes Feld hat mit dem aus einem Text B gewonnenen Feld deshalb außer Differenzen auch Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen, und solche sind selbst für das gesamte Textspektrum nachweisbar. Die onomasiologischen Felder des Frühneuhochdeutschen Wörterbuchs werden also durch Inhalts-, Urteils-, Wertungsähnlichkeiten120120. Hier wäre wohl der Begriff ‚Familienähnlichkeit‘ am Platze; vgl. Wittgenstein, Ludwig, Philosophische Untersuchungen. 3. Aufl. Frankfurt 1975, § 66, 67. konstituiert, die aus den Texten nachweisbar sind und die damit die relevanten Themen der Zeit spiegeln (statt irgendwelche Ausgangsbegriffe der Gegenwart). Am obigen Beispiel ablas 6 wieder erläutert: die Aufführung von büberei und misbrauch als Feldwörter ist nicht Ausdruck der Zufälligkeit der parole, sondern der Bedeutungspejoration eines Teils des Signifikates von ablas, dessen Entwicklung zu ›Jahrmarkt‹, ›finanzieller Ausbeutung‹ usw. verläuft.

Dieses Verfahren hat nicht nur den Vorteil, daß man der Schwierigkeit enthoben wird, eine Begriffspyramide à la Hallig/von Wartburg121121. Hallig, Rudolf/von Wartburg, Walther, Begriffssystem als Grundlage für die Lexikographie. Versuch eines Ordnungsschemas. 2. neu bearb. und erw. Aufl. Berlin 1963. (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für Romanische Sprachwissenschaft 19). konstruieren und verteidigen zu müssen, sondern es ermöglicht eine direktere Antwort auf die komplizierteren, sich bei der Lektüre frühneuhochdeutscher Texte stellenden Fragen als eine Feldkonstitution von außertextlich gewonnenen logischen Ausgangsbegriffen her. Insbesondere die für die literaturwissenschaftliche Kennwortforschung und entsprechende Ziele geschichtswissenschaftlicher Textforschung überhaupt relevante Frage nach dem Stellenwert einer Bedeutung im Gesamt einer Inhaltskonzeption eines Textes oder einer Textgruppe findet durch die Feldangaben des Frühneuhochdeutschen Wörterbuches eine Antwort.

(6) Bei der Auffassung des Wortschatzes als eines fixen Systems wohlbestimmter Einheiten ergäbe sich als Konsequenz, daß (eine ausgezeichnete Quellengrundlage und ihre systematische Erschließung mal vorausgesetzt) für gleiche Bedeutungen immer gleiche Felder nachgewiesen werden, daß also für die Bedeutung ‚x‘ eines Wortes y das gleiche Feld a, b, c steht wie für die Bedeutung ‚x‘ des Wortes z. Dieser Fall tritt im Wörterbuch bisher nicht auf; er soll damit nicht als unmöglich, wohl aber als nicht erwartbar charakterisiert werden. Die Zusammensetzung eines Feldes nämlich hängt von vielen Gegebenheiten ab, darunter von der Textsorte, von der Belegzahl für eine Bedeutung (unabhängig davon, ob diese Zahl vorgehensbedingt ist oder objektive Frequenzverhältnisse spiegelt), von der landschaftlichen, historischen, sozialen (usw.) Gültigkeit der Bedeutung, vor allem aber von dem pro Text immer spezifischen Inhaltsanliegen, das notwendigerweise zu wechselnden semantischen Nuancierungen und damit zu wechselndem Wortgebrauch führt. Aus Texten gewonnene Felder können damit nicht Gebilde sein, in die man an einer beliebigen Stelle einsteigen kann und deren Inventar sich dann dauernd wiederholt, sondern sie sind von Einzeltext zu Einzeltext partiell variierende Gegebenheiten. Dementsprechend zeigen sich im Wörterbuch auch immer wieder wechselnde Überlappungsverhältnisse zwischen den Feldern zu einer als gleich oder ähnlich vorauszusetzenden Bedeutung. Am häufigsten ist der Fall, daß zur Bedeutung ‚y‘ eines Wortes A das Feld a, b, c steht, zur gleichen oder (im Regelfall) ähnlichen Bedeutung eines Wortes B dagegen das Feld b, c, d oder c, d, e; man vgl.

abrichten [...] 5. ›etw. bezahlen [o. ä.]‹. [...] – Bdv.: ablegen 3, ablonen, ablösen 4, ausrichten, ausweisen, benügen, bezalen.

Unter ablegen 3 finden sich: leisten, ab-, aus-, entrichten, bezalen, gelten, bessern, büssen, wiederkeren, -tun. Unter ablösen 4 finden sich: (ab)kaufen 3, abrichten 5, ausrichten, zufriedenstellen.

Schematisch dargestellt ergäbe sich folgendes Bild:

Wort A/Bed. ‚y‘ : Feld a, b, c.

Wort B/Bed. ‚y1‘ : Feld b, c, d.

Wort C/Bed. ‚y1‘ : Feld c, d, e.

(‚y1‘ heißt: Die Bedeutung ist gleich oder ähnlich der Bedeutung ‚y‘).

Häufig begegnen auch folgende Fälle: Zur Bedeutung ‚y‘ des Wortes A steht das Feld a, b, c, zur gleichen oder ähnlichen Bedeutung eines Wortes B dagegen das Feld m, n, o. Oder: Zur Bedeutung ‚y‘ des Wortes C steht überhaupt kein Feld, zur gleichen oder ähnlichen Bedeutung eines Wortes D dagegen ein Feld m, n, o. In ein Schema gebracht ergäbe sich:

Wort A/Bed. ‚y‘ : Feld a, b, c.

Wort B/Bed. ‚y1‘ : Feld m, n, o.

Wort C/Bed. ‚y‘ : kein Feld

Wort D/Bed. ‚y1‘ : Feld m, n, o.

Selbstverständlich soll nicht geleugnet werden, daß die beschriebenen Teil- und Nichtübereinstimmungen partiell vorgehensbedingt sind. Bei Ausweitung des Quellencorpus und dichterer Exzerption jedes Wortes würde man die Zahl der Nichtübereinstimmungen reduzieren, den Grad der Teilübereinstimmungen steigern können. Entscheidend aber ist, daß erstens die Ausweitung des Quellencorpus und die Systematik der Exzerption keine natürlichen Grenzen haben und daß zweitens selbst bei höchstmöglicher Vollständigkeit keine Übereinstimmung der Felder zu gleichen oder verwandten Bedeutungen mehrerer Wörter zustande kommen kann. Schon die Voraussetzung ‚gleicher‘ Bedeutungen wird sich bei zunehmendem Feinheitsgrad der Untersuchung zunehmend als nicht gegeben erweisen.

(7) Eingangs dieses Kapitels wurde gesagt, daß die Zugehörigkeit zu onomasiologischen Feldern ausschließlich für Einzelbedeutungen gelte; man könnte verdeutlichend hinzufügen: nur für Einzelbedeutungen als Ganze, nicht für deren Nuancen. Dazu stimmt, daß im Abschnitt 12.6. Anzahl der Einzelbedeutungen als eine der wichtigsten Begründungen für die Identifikation und Abgrenzung von Bedeutungen die Maxime aufgestellt wurde: so viele Einzelbedeutungen wie onomasiologische Felder. Dieser Grundsatz soll hier nicht in Frage gestellt werden; es ist aber folgendes zu betonen: Der einzeltextspezifisch immer wieder gegebene Wechsel der onomasiologischen Vernetzung von Wörtern muß nicht ausschließlich die differentiae specificae eines konstanten Genus betreffen, sondern kann auf unterschiedlicher Generizitätsstufe erfolgen, also z. B. auch durch eine ganz spezifische Bedeutungsnuance bedingt sein. Dies kann beschreibungssprachlich nicht immer sinnvoll durch den Ansatz einer eigenen spezialisierten Bedeutung berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen für den Ansatz eigener Bedeutungen sind nach dem in 12.6. Gesagten ja außerordentlich vielschichtig und müssen von Fall zu Fall letztlich nach dem normalsprachlichen semantischen Urteil des Lexikographen entschieden werden. Es kommt hinzu, daß ein semasiologisches Feld, also die Reihe von Einzelbedeutungen eines Wortes, nicht durch Aufführung aller Bedeutungsschattierungen bis zur Unübersichtlichkeit ausufern darf. Als Konsequenz ergibt sich, daß in einigen Fällen vom Muster

Bedeutung ‚x‘ – Feld a, b, c

abgewichen wurde zugunsten des Musters

Bedeutung ‚x‘ mit den Nuancen ‚x1‘, ‚x2‘ (usw.) – Feld a, b, c (zur ersten Nuance), Feld d, e, f (zur zweiten Nuance).

Als Beispiel vgl. man:

abnemen [...] 2. a). ›verfallen (von Personen [...]‹); b). ›schwinden, nachlassen (von den [...] Kräften des Menschen)‹; [...] e). ›dahinwelken (von Pflanzen)‹. – Bdv.: abfallen 8/9, schwächen (zu a); schleissen, kränken (zu b); verwelken, erschwelken, verdorren, aus-, verblühen (zu e).

(8) Der Lexikograph, der eine bestimmte Wörterbuchstrecke bearbeitet, weiß, daß immer wieder Fälle begegnen, in denen das für die Bedeutung y eines Wortes A erschlossene Feld mit demjenigen zu einer gleichen oder ähnlichen Bedeutung eines Wortes B nur partiell übereinstimmt (vgl. Punkt (6) oben) bzw. in denen aus der Belegumgebung von B heraus überhaupt kein Feld erschließbar war. Der konkrete Umfang dieses Wissens des Lexikographen ist von der Kapazität seines Gedächtnisses abhängig und unterliegt dessen Schwankungen. Er läßt sich durch einen eigenen Verzettelungsgang, optimal natürlich durch den Einsatz des Computers, der hier eine volle Funktion hat, bis zur Vollständigkeit steigern. Da die Herausgeber des Frühneuhochdeutschen Wörterbuches nach Fertigstellung des Gesamtwerkes einen onomasiologischen Index planen (vgl. 21.2.), wird bei Zutreffen einiger (hier nicht interessierender) Voraussetzungen jedes Feld zu einer Bedeutung y und zu den y ähnlichen Bedeutungen später einmal über den Index zugänglich sein und für Feldvergleiche zur Verfügung stehen. Bis dahin ist ein weiter Weg. Der Bearbeiter hat deshalb gemeint, dasjenige, was ihm an Feldzusammenhängen über das gerade behandelte Einzelwort hinaus im Gedächtnis haftet, schon jetzt in einer besonderen Notation angeben zu sollen. Es sei ausdrücklich betont, daß dies nicht systematisch geschieht und sich nur auf den bereits bearbeiteten Teil des Alphabets beziehen kann. Man vergleiche zum Verfahren folgendes Beispiel:

abmieten [...] 1. ›jm. jn. [...] abwerben‹. – Bdv.: abspannen 1; vgl. abdingen 1.

Es ist wie folgt zu lesen: Hinter der Sigle Bdv. (bis zur beschreibungssprachlichen Zeichenfolge _; vgl.) finden sich diejenigen Feldwörter zu _abmieten 1, die aus den Belegen des Wortes abmieten erschlossen wurden (in casu: ein einziges, nämlich abspannen). Auf die Zeichensequenz _; vgl._ folgen zusätzliche Feldwörter, und zwar solche, die aus den Belegen bedeutungsgleicher oder -verwandter Wörter erschlossen wurden und dem Bearbeiter noch im Gedächtnis sind. Im Beispielfall ist es abdingen 1. Schlägt man dort weiter nach, so findet man: aberwerben 2, abfreien 2, abhalten 2, abheuern, ablungern, abreden 5, abspähen, abspannen 1, abspenen, abspännigen, absprechen 6 u. and. Im übrigen ist zu beachten, daß auch das Nachschlagen der Feldwörter, die vor der Sequenz _; vgl._ stehen, potentiell zu weiteren onomasiologischen Angaben führen kann, nämlich jeweils zu denjenigen, die sich aus den Inhaltsanliegen der Texte ergeben, aus denen die Feldwörter erschlossen wurden. Die Nachschlagehandlungen können so gehäuft werden, daß oft von einem einzigen Einstiegspunkt aus eine Fülle von aspektuell unterschiedlichen Strängen onomasiologischer Vernetzung aufdeckbar ist. Auch hier wird wieder deutlich, daß der Wörterbuchbenutzer als mitarbeitend und mitdenkend, jedenfalls für die komplizierteren Fragestellungen des unter 4.3.2.2. behandelten Typs, antizipiert wird.

(9) Zu den Angaben zur onomasiologischen Vernetzung des Wortes gehört auch die Nennung von Gegenwörtern, worunter hier Antonyme und Komplenyme zusammengefaßt werden sollen. Beide Subtypen werden beschreibungssprachlich nicht durch besondere graphische Mittel unterschieden. Deshalb braucht die Opposition von Antonym und Komplenym122122. Vgl. Anm. 106. hier auch nur angedeutet zu werden: Antonymie meint den graduierbaren, Komplenymie den eher absoluten Gegensatz. Auch auf den hohen Informationswert der Angabe von Gegenwörtern für die Identifikation und Abgrenzung von Bedeutungen sowie für ihren Stellenwert im Wortschatzzusammenhang kann hier nur hingewiesen werden. Die Herausgeber erinnern an ihre Analyse der Bedeutungsgeschichte des Wortes arbeit, dessen Erstbedeutung, ›Mühe o. ä.‹, im Gegensatz zu ruhe, freude, friede, lust steht, dessen Bedeutung ›berufliche Tätigkeit o. ä.‹ aber eine zusätzliche Gruppe von Gegenwörtern aufweist, nämlich (wol)lust, müssiggang, wolleben, feiern. Diese letzte Gruppe enthält neue ethische Wertungen, die im Zusammenhang mit der sich im 16. Jahrhundert durchsetzenden veränderten Arbeitsauffassung zu sehen sind.

Die Gegenwörter stehen im Anschluß an die durch einen Punkt abgeschlossenen Angaben bedeutungsverwandter Wörter, und zwar eingeleitet durch die Sigle Ggs. (und darauf folgenden Doppelpunkt). Es ergibt sich mithin folgendes Bild:

abgrund [...] 2. ›Tiefe der Erde, Abgrund, Abyssus‹ [...] – Bdv.: tiefe. Ggs.: höhe [...] 3. ›Hölle‹ [...] – Bdv.: helle [...]. Ggs.: himmel.

(10) Dieser Punkt betrifft wie der folgende ausschließlich die Beschreibungstechnik; er hat keine sprachtheoretischen Implikationen.

Einige Feldwörter sind mit einer Zahl versehen, vgl. ablösen 1, abscheiden 5, absondern 1 zu abteilen ›absondern, trennen‹. Es sind diejenigen, die in vorangehenden Teilen des Wörterbuchs (in wenigen Fällen: in der fertiggestellten folgenden Wörterbuchstrecke) bereits semasiologisch beschrieben sind. Die Zahl verweist auf die jeweils als feldverwandt in Betracht kommende Einzelbedeutung des angegebenen Wortes.

(11) Aus Umfangsgründen werden nur dann Angaben zur onomasiologischen Vernetzung des Wortes gemacht, wenn die Liste der Feldwörter umfänglicher ist als die Liste, die vom Benutzer aus den Belegen erschlossen werden kann. Trifft diese Voraussetzung zu, so werden allerdings alle Feldwörter aufgeführt. Dies heißt, daß ein Teil von ihnen in den Belegen direkt wieder auftaucht; ein anderer Teil kann vom Wörterbuchbenutzer in der näheren im Wörterbuch nicht wiedergegebenen Umgebung der Belege oder nach den Belegstellenangaben (dazu: 17.) aufgesucht werden. – Es gibt besondere Gründe, die es sinnvoll machen, ein Feldwort auch dann eigens zu verzeichnen, wenn die genannte Bedingung für den Ansatz bedeutungsverwandter Wörter nicht gegeben ist; Gründe dieser Art sind: besonderer sachlicher Informations- oder Veranschaulichungswert (vgl. kühescheid zu abfart 4) und natürlich besonderer semantischer Aussagewert (vgl. behende, klug, weise zu abel 2).