21. Register zur Erschließung von Datentypen des Wörterbuches

21.1. Mögliche Registertypen und ihr Zweck

21.1.1. Semasiologische Wörterbücher werden im Gegensatz zu onomasiologischen Wörterbüchern, die in der Regel wenigstens ein alphabetisches Register der behandelten Wörter enthalten, durchgehend ohne jede Aufbereitung der in ihnen gegebenen Daten publiziert. Es geht mir in diesem Kapitel darum, bewußt zu machen, daß prinzipiell jeder Informationstyp des semasiologischen Wörterbuches auf eine besondere Weise gekennzeichnet werden kann, daß dadurch alle Vorkommen der einzelnen Informationstypen aus dem Wörterbuchgesamttext herausgeschnitten und nach gewünschten Gesichtspunkten geordnet werden können. Dies letztere geschieht heute am kostengünstigsten unter Zuhilfenahme des Computers, dessen eigentliche Leistungsfähigkeit in der schnellen Bewältigung von Ordnungsaufgaben besteht. Im folgenden werden diejenigen Register genannt, deren Realisierung m. E. von besonderem wissenschaftlichem und praktischem Nutzen wäre:

  1. eine rückläufige Lemmaliste,
  2. ein Register aller Wortvarianten, darunter Einzelregister nach dem Variantentyp, z. B. Register aller Hyperkorrekturen,
  3. Register aller Wörter gleicher Flexionsklasse, darunter z. B. Register aller ablautenden Verben, aller rückumlautenden Verben, aller substantivischer Flexionsklassen usw. (etwa so: -(e) s/-eWort 1, Wort 2, Wort 3 ... Wort n),
  4. Register aller mit besonderen Typen etymologischer Hinweise versehenen Wörter, darunter Fremdwortregister, Register von Volksetymologien,
  5. ein Register des Erläuterungswortschatzes als Voraussetzung für die onomasiologische Aufbereitung des Wörterbuches,
  6. Register aller mit Symptomwertangaben markierten Wörter, und zwar geordnet nach Raum (subgeordnet nach Einzellandschaften), Zeit, Textsorte (für den Raum etwa so: Ostoberdeutsch: Wort 1, Wort 2 ... Wort n; oder so: Wort 1 in Bedeutung ‚a‘; Wort 2 in Bedeutung ‚b‘ ... Wort n in Bedeutung ‚n‘; entsprechend für die anderen Dimensionen),
  7. ein Register aller in onomasiologischen Feldern angegebenen Wörter,
  8. ein Register aller in den Syntagmen angegebenen Wörter,
  9. ein Register aller Wortformen aller Belege, also ein Belegformen-(= Schreibformen-)register.

21.1.2. Der oben angesprochene „besondere [...] Nutzen“ der Register dieses Kataloges ist philologischer und/oder methodischer und/oder benutzungspraktischer Art:

21.1.2.1. Die Nummern 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 9 liefern Datenmaterial für im weitesten Sinne philologische Untersuchungen, nach ihrer vorwiegenden Verwendungsmöglichkeit etwas genauer aufgeschlüsselt: für wortbildungsmorphologische (1; 2), flexionsmorphologische (3), etymologische (4), bedeutungs- und begriffsgeschichtliche (5), wortgeographische/wortgeschichtliche/textsortenbezogene (6), graphiegeschichtliche (9) Arbeiten. Sie würden schon durch ihre Quantität zu einer begründeteren und vermutlich viel genaueren Einsicht in die Sprachgeschichte des Deutschen, z. B. in die Verteilung der Domänen, die Rolle von Landschaften und Textsorten, in die Ausgleichs- und Normierungsvorgänge im Zusammenhang mit der Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache, führen.

21.1.2.2. Die Register 5, 7, 8 und 9 hätten zum Teil zusätzlich zu der bereits genannten philologischen eine methodische Funktion: Sie tragen zur Kontrolle der lexikographischen Tätigkeit in m. E. bisher kaum geahntem Ausmaß bei. So würde ein Register aller in onomasiologischen Feldern angegebenen Wörter (7) die Angaben zur onomasiologischen Wortvernetzung systematischer zu gestalten ermöglichen, als dies nur aufgrund des Gedächtnisses des Bearbeiters möglich ist (vgl. 14.1., Punkt (8)); ein Belegformenregister (9) würde das Quellencorpus zwar nicht vergrößern, aber die Exzerptionsdichte so erhöhen können, daß die in 6.3.4.3. signalisierte Schwachbelegung des allgemeinsprachlichen Wortbestandes des Frühneuhochdeutschen sowie des Bestandes an eigentlichen, allgemeinsprachlichen und geschichtlich relativ konstanten Bedeutungen vermutlich sehr weitgehend korrigiert werden könnte. Allerdings relativiert sich der methodische Wert von Registern immer dann, wenn ein Wörterbuch wie das hier besprochene in Lieferungen erscheint.

21.1.2.3. Register 9 hat, als Schreibformenregister verstanden, eine dritte, nämlich benutzungspraktische Funktion: Es erhöht für denjenigen Benutzer, der ein bei der Lektüre frühneuhochdeutscher Texte begegnendes Wort nicht identifizieren und das heißt: nicht in die ausgezeichnete Form des Lemmas umsetzen kann, der deshalb keine gezielte Nachschlagemöglichkeit hat, die Wahrscheinlichkeit, dieses Wort zu finden, und zwar um so mehr, in je mehr Schreibformen es belegt ist.

21.1.3. Für das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch sind vorläufig drei Register geplant, und zwar eine rückläufige Lemmaliste (1), ein Schreibformenregister (9) und ein Register des Erläuterungswortschatzes (5). Während der Nutzen der beiden erstgenannten nach den obigen Bemerkungen einsichtig sein dürfte, soll das Register des Erläuterungswortschatzes in einem eigenen Teilkapitel etwas näher erläutert werden, und zwar ausschließlich unter dem Aspekt seines bedeutungs- und begriffsgeschichtlichen, nicht also seines methodischen Wertes.

21.2. Das Register des Erläuterungswortschatzes als Voraussetzung für die onomasiologische Aufbereitung des Wörterbuches

In Kapitel 2. ist der unzureichende Stand der lexikographischen Aufarbeitung des Frühneuhochdeutschen beschrieben worden. Trotzdem wird derjenige, der die Bedeutung(en) eines frühneuhochdeutschen Wortes nachschlagen möchte, diese in aller Regel in den (semasiologischen) Wörterbüchern der zeitlich vorangehenden oder nachfolgenden Epoche finden. Eine onomasiologische historische Lexikographie des Frühneuhochdeutschen wie des Deutschen überhaupt existiert dagegen nicht einmal in Ansätzen132132. Man wird auch die folgenden Werke nicht als wirkliche Ansätze onomasiologischer Lexikographie des Frühneuhochdeutschen bezeichnen können: Kehrein, Slg. adt. Wörter; Dalby, Lex. MHG Hunt. [Letzteres Werk enthält eine kurze Begriffsliste].. Derjenige also, der eine Antwort auf Fragen des Typs sucht:

Welche lexikalischen Ausdrucksmöglichkeiten bestanden im Frühneuhochdeutschen für einen gerade interessierenden Begriff wie ‚Arbeit‘ oder ‚Askese‘ oder ‚Herrschaft‘?

wer also so fragt, wird ohne Antwort bleiben, es sei denn, er lese ein ganzes semasiologisches Wörterbuch durch und sammle die darin versteckten Antworten.

21.2.1. Im folgenden soll in kürzest möglicher Form133133. Eine ausführlichere Darstellung findet sich bei Anderson, Robert R./Goebel, Ulrich/Reichmann, Oskar, Ein Vorschlag zur onomasiologischen Aufbereitung semasiologischer Wörterbücher. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 102, 1983, 391–428. dargelegt werden, wie das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch über einen Index seines Erläuterungswortschatzes so aufbereitet werden kann, daß es auch auf onomasiologische Fragen des gerade vorgeführten sehr einfachen Typs, aber natürlich auch auf die komplizierteren onomasiologischen Fragestellungen, wie sie in Abschnitt 4.3.3. angesprochen wurden, eine rasch zugängliche Antwort gibt. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei vorausgeschickt, daß die Artikelposition VII. Angaben zur onomasiologischen Vernetzung des Wortes diese Aufgabe nur bei Vorliegen einer bestimmten Voraussetzung erfüllt: Wenn der Benutzer, ausgehend von der Lektüre frühneuhochdeutscher Texte oder aus allgemeiner Kenntnis des Frühneuhochdeutschen ein dieser Sprachstufe zugehöriges Wort als Möglichkeit des Einstiegs in das Wörterbuch hat, kann er in der dafür eingerichteten Position VII bedeutungsverwandte Wörter nachschlagen und diese zusammen mit dem Lemma, unter dem sie stehen, als Ausdrucksmöglichkeiten für einen Begriff auffassen, dessen sprachlichen Ausdruck er in der Bedeutungserläuterung findet. Begriffe in üblicherweise standardsprachlicher Fassung wie z. B. ‚Arbeit‘ oder ‚Askese‘ sind dagegen im semasiologischen Wörterbuch deshalb nicht nachschlagbar, weil ja nicht zu erwarten ist, daß ‚Arbeit‘ oder ‚Askese‘ im Frühneuhochdeutschen als arbeit oder askese bezeichnet werden.

21.2.2. Das geplante Verfahren sei hier am Beispiel der Bedeutung 6 des Wortes arbeit vorgeführt. Die Formulierung der Erläuterung dieser Bedeutung lautet:

arbeit [...]. ›anstrengende Tätigkeit insbesondere zum Erwerb des Lebensunterhaltes, berufliche, in der Regel körperliche Arbeit auf allen Gebieten [...]‹, mit offenem Übergang zu ›Erwerbstätigkeit zur Erzielung von Gewinn‹, darunter auch zu ›Handel‹ [...].

21.2.2.1. Aus den Bedeutungserläuterungen sind nun in einem ersten Verfahrensschritt all diejenigen Ausdrücke herauszuheben, die jeweils als Kandidaten zur Bezeichnung der einzelnen Begriffe einer als Teilziel des ganzen Verfahrens erstrebten Begriffsliste in Betracht kommen. Diese Ausdrücke müssen im Normalfall die folgenden drei Bedingungen erfüllen:

  1. Sie müssen den lexikalischen Rängen der Sprache angehören.
  2. Sie müssen der gleichen Wortart angehören wie das Lemma des jeweiligen Wortartikels.
  3. Sie müssen zum Lemma im Synonymie- oder im partiellen Synonymieverhältnis stehen.

In der Bedeutungserläuterung von arbeit 6 erfüllen die kursiv gesetzten Ausdrücke, bei Komposita (vgl. Erwerbstätigkeit) oft zusätzlich deren Grundwörter diese Bedingungen. Der synonymische und der partiell synonymische sowie der phrastische, genus proximum und differentia specifica angebende Erläuterungstyp eignen sich am unproblematischsten für das Verfahren. Schwierigkeiten, die einige funktional bestimmte Erläuterungstypen bereiten, sind durch Modifikationen der drei Bedingungen behebbar.

21.2.2.2. In einem zweiten Vorgehensschritt erfahren die herausgehobenen Ausdrücke eine Uminterpretation ihres Status, und zwar in dem Sinne, daß sie nicht mehr als Einheiten der Beschreibungssprache des semasiologischen Wörterbuches, nämlich als Teile von Bedeutungserläuterungen, sondern als Begriffe einer onomasiologischen Begriffsliste verstanden werden. Dem entspricht eine Aufzeichnung in umgekehrter Reihenfolge und damit verbunden mit anderen Notationskennzeichen. Statt des Schreibmusters

arbeit → ›Handel‹134134. Statt des Musters arbeit → ›Handel‹ könnte man auch schreiben: arbeit → Handel. In der oben im Text gewählten Schreibweise wird ›Handel‹ nach Ausweis der Häkchen als eine Inhaltseinheit, hier als Bedeutung, aufgefaßt; in der alternativen Schreibweise würde Handel als (beschreibungs)sprachliche Fassung der Bedeutung aufgefaßt. Streng genommen müßte man schreiben „›Handel‹ in Fassung Handel“. Für die Argumentation sind solche fachsprachlichen Differenzierungen an dieser Stelle irrelevant.

erhält man dann das Muster

›Handel‹ → arbeit.

Nun ist es sicher nicht unrealistisch anzunehmen, daß der erläuterungssprachliche Ausdruck Handel (also der Ausdruck für die Bedeutung ›Handel‹) in der ungefähren Bedeutung von frühneuhochdeutschem arbeit (man könnte auch sagen: als erläuterungssprachliches (partielles) Synonym für frühneuhochdeutsches arbeit) nicht nur im Wortartikel arbeit auftritt, sondern auch noch an verschiedenen anderen Stellen auftreten kann, und zwar in den Erläuterungen all derjenigen Wörter, die im Frühneuhochdeutschen mit arbeit ganz oder partiell synonym waren. Welche Wörter dies sind, kann nur fiktiv angesetzt werden, um die Argumentation weiterzuführen. Ob die Ansätze stimmen, ist deshalb nicht feststellbar, weil semasiologische Wörterbücher ja keine Nachschlagemöglichkeit für (Ausdrücke von) Begriffe(n) bieten. Hier soll nun angenommen werden, die Wörter geschäft, gewerbe, handel, kaufmanschaft seien im Frühneuhochdeutschen (partielle) Synonyme zu arbeit ›Handel‹ gewesen. Dann füllt sich das oben angegebene Grundmuster onomasiologischer Wörterbücher, nämlich

›Handel‹ → arbeit,

in folgender Weise auf:

›Handel‹ → arbeit, geschäft, gewerbe, handel, kaufmanschaft, [...].

Rechts des Pfeils steht jetzt statt eines Einzelausdrucks ein kumulatives onomasiologisches Feld, und zwar ein – ganz abgesehen von seinem fiktiven Charakter – vermutlich sehr unvollständiges.

Diese Verhältnisse verkomplizieren sich nun dadurch in ganz erheblicher Weise, daß die bisher aus Argumentationsgründen immer gemachte Voraussetzung, das beschreibungssprachliche Handel sei ein (partielles) Synonym für beschriebensprachliches arbeit, nur einen Teil der Gesamtbedeutung von Handel betrifft. In Wirklichkeit ist Handel aber polysem, es bedeutet also nicht nur

a. ›Handelstätigkeit‹, wofür frühneuhochdeutsches arbeit, geschäft, gewerbe, kaufmanschaft [...] gelten sollen,

sondern z. B. auch noch

b. ›Ladengeschäft, kleines Unternehmen‹, wofür frühneuhochdeutsch die Wörter a, b, c gelten sollen.

c. ›geschäftliche Abmachung, Vereinbarung‹, wofür frühneuhochdeutsch d, e, f gelten sollen,

d. ›Streit, Auseinandersetzung‹, wofür frühneuhochdeutsch x, y, z gelten sollen.

Dies heißt nun aber, daß sich das zuletzt aufgeführte Muster weiter auffüllt, und zwar durch die Menge aller frühneuhochdeutscher (partieller) Synonyme für die Bedeutungen ‚b‘, ‚c‘, ‚d‘ von erläuterungssprachlichem Handel. Es ergibt sich also folgendes Resultat:

›Handel‹ → arbeit, geschäft, gewerbe, handel, kaufmanschaft, a, b, c, d, e, f, x, y, z.

Rechts des Pfeils steht jetzt statt eines einzigen onomasiologischen Feldes ein Cumulus mehrerer Felder, nämlich genau so vieler, wie Handel Bedeutungen hat. Solche Feldcumuli können bei hochgradig polysemen Einheiten (erst recht bei Kombination von Polysemie und Homonymie) des Erläuterungswortschatzes sehr umfänglich werden und den Eindruck einer nahezu amorphen Wortmasse vermitteln.

21.2.2.3. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines dritten Verfahrensschrittes, nämlich der Mehrdeutigkeitstrennung aller Einheiten von Feldhäufungen des zuletzt vorgeführten Typs. Nach der Mehrdeutigkeitstrennung (d. h. Polysemie- und Homonymietrennung) erhält man folgende Ergebnisform:

›Handel a‹ → arbeit, geschäft, gewerbe, handel, kaufmanschaft

›Handel b‹ → a, b, c.

›Handel c‹ → d, e, f.

›Handel d‹ → x, y, z.

21.2.3. Mit der Mehrdeutigkeitstrennung wird erreicht, daß der Benutzer das Wörterbuch nicht nur zum Nachschlagen der Bedeutungen frühneuhochdeutscher Wörter, sondern auch zum Nachschlagen frühneuhochdeutscher Ausdrücke für Begriffe benutzen kann. Er findet immer dann eine Antwort, wenn im Erläuterungswortschatz ein Ausdruck für den Begriff vorhanden ist, der zum Nachschlagen Anlaß gibt. Dies ist eine zusätzliche Rechtfertigung für die unter 4.3.1.5. bereits begründete Entscheidung, die (partiell) synonymischen Erläuterungsreihen mit einiger Großzügigkeit zu bemessen.

Obwohl hier keine weiteren Möglichkeiten beschrieben werden können, die onomasiologische Aufbereitung des Wörterbuches zu optimieren, ist der Nutzen onomasiologischer Begriffs-/Bezeichnungslisten unmittelbar einsichtig: Der gesamte Katalog der in 4.3.3.1. beschriebenen Sparten lexikologischer Traditionsforschung würde durch sie eine die volle Breite des Wortschatzes erfassende Materialbasis erhalten.