gichtig,
Adj.
1.
›etw. (einen religiösen Zustand oder Sachverhalt) bekennend‹;
vgl.  1.

Belegblock:

Bächtold, N. Manuel. Barb.
187, 1497
(
Zürich
1526
):
Der geist gotts ist uns priesteren zuͦgseit, | [...]. | Des bist gichtig, dass er sye gsandt | Den jüngeren [...]; | Deren statthalter sind ietz wir.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Einer suͤnd gichtig sein.
2.
›sich zu jm. bekennend, für jn. rechtlich geradestehend‹;
vgl.  1.

Belegblock:

Wintterlin, Würt. Ländl. Rechtsqu. (
schwäb.
,
1532
):
Es soll ouch nimants weder leib noch gut in unserm gerichtzzwang verpotten werden, der heußlich oder heblich anwesen und ainen gichtigen kantlichen gerichts- oder verspruchherrn hat.
3.
›etw. (einen Sachverhalt, oft: Schulden) anerkennend und dadurch die Berechtigung des Anliegens eines anderen zugestehend, mit etw. einverstanden‹.
Beleghäufung für das Wobd.; gehäuft Rechts- und Wirtschaftstexte.
Phraseme:
gichtig und richtig
1 ›eingestandenermaßen und wahrheitsgemäß‹.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 1, (Adv.); vgl.  6.
Gegensätze:
 3, .
Syntagmen:
j. g. sein, j. g. sein, das [...] / zu [...], e. S
. (z. B.
der verheissung, der worte
)
g. sein, jm. e. S
. (Gen., z. B.
der ansprache, des geldes / kaufes, der schulden
)
g. sein, jm. etw
. (Akk., z. B.
geld, keinen heller, die ansprache / erforderung
)
g. sein
;
jm. ein gichtiger e. S.
(z. B.
des garten
)
halben sein
;
jn. gichtig machen
(prädikatives Attr.);
der gichtige ansager / brief
›Bestätigungsbrief‹.

Belegblock:

Eckhardt, Ohess. Klöster
2, 385, 42
(
hess.
,
1480
):
Ouch sail der egenante mir sin eyn gichtiger des garten halben, [...], unde mir solichen zins an allen mynen schaden verreichen.
Dinklage, Frk. Bauernweist.
69, 4
(
nobd.
,
1465
):
dartzu alle hübner [...], weren eins und gichtig gewesen, das solchs vor alter herkommen.
Welti, Stadtr. Bern (
halem.
,
E. 14.
/
A. 15. Jh.
):
oder ieman sin eigen luͥt [...] fuͤret än vrlob [...] des rates an dem, der im gelt gichtig ist.
Leisi, Thurg. UB
8, 597, 9
(
halem.
,
1386
):
Und er im selb gichtig was, und daz er in welt lassen beliben uff dem guͦt noch dis jar umb den zins.
UB Zug
250, 19
(
halem.
,
1387
):
Des inen aber der von Switz botten do under oͮugen nicht gichtig waren.
Ebd.
459, 4, 24
:
wer dem andern geltes gichtig ist, das man dem gúlten, so dz gelt zuͦgehoͤrt, pfand geben sol.
Boner, Urk. Aarau
265, 13
(
halem.
,
1405
):
vnd sprach, er woͤlt by der richtung
›Vereinbarung‹
nit beliben, wond sy an ime nit gehalten were, des der vnser aber nit gichtig ist.
Rennefahrt, Recht Laupen (
halem.
,
1490
):
wie er gern gehorte, ob Peter Runtingers gichtig woͤlte sin, das der bach [...] zwen tag und zwo nächt sölte gan.
Ders., Zivilr. Bern (
halem.
,
1613
):
er imme zuͦvor den schuldner [...] vor etlichen grichtsgschwornen [...] nach jedes orts bruch und glegenheit gichtig und richtig an die handt gebe.
Gagliardi, Dok. Waldmann
1, 76, 4
(
halem.
,
1467
):
da sol denn der obgenant Erny Holtzach, [...] zuͦ innen kerren und die gichtig machen der schulden.
Argovia (
halem.
,
1527
):
Wann einer eim’ Geld verheißt und nit Pfand und einer eim’ gichtig ist, so mag einer gôn an ein G’richt.
Graf-Fuchs, Ämter Interl./Unterseen (
halem.
,
1529
):
Ist dann der vorsager aller worten gichtig, so ist der beklagt entbrosten. So aber der vorsager nit gichtig und er inne ouch nit betzügen mag, der sol darumb liden nach erkantnus der herrschafft.
Bächtold, H. Salat (
halem.
,
1551
):
darinn du mir ein schuld heuscht, dero ich dir kein haller noch denar schuldig noch gichtig bin.
Chron. Augsb. Anm. 1 (
schwäb.
, Hs.
16. Jh.
):
des er auch seiner gnaden gichtigen brief hat.
Henisch (
Augsb.
1616
):
Seiner verheissung nit gichtig vnd anred sein / promissum revocare.
Leisi, Thurg. UB
6, 91, 27
;
UB Zug
214, 20
;
Welti, Urk. Rheinfelden
202, 21
;
Rennefahrt, Zivilr. Bern ;
Gagliardi, a. a. O.
2, 163, 1
;
Rwb f.;
Vorarlb. Wb.
1, 1181
.
Vgl. ferner s. v. (Adj.) 2.
4.
›anerkannt, unbestritten existierend (vor allem von Schulden)‹; als Bezugsgrößenverschiebung und mit zusätzlicher Spezialisierung an 2 anschließbar.
Wobd.; Rechts- und Wirtschaftstexte.
Bedeutungsverwandte:
, ; vgl.
2
 2.

Belegblock:

Merk, Stadtr. Neuenb. (
nalem.
,
1462
):
Were aber iemand schuldig, [...] kuntlich und gichtige schuld [...] ze bezalen.
Roder, Stadtr. Villingen (
önalem.
,
1501
):
umb gichtig und unlogenbar schuld sol es von baiden tailen von iedem amptmann, [...], dem schuldner guͦte pfand von des ansprechigen aigen guͦt geben werden.
Rennefahrt, Staat/Kirche Bern (
halem.
,
1507
):
so werde inen abgeschlagen, umb ir gichtig schulden und vordrungen zuͦ pfenden.
Ders., Statut. Saanen (
halem.
,
1598
):
da soll der amman [...] nach sant Martis tag eines jeden jars umb all jichtig und verfallen schuld [...] an gewonlicher stat ein ruͦf tuͦn.
Argovia (
halem.
,
1530
):
vmb ein schuld ein zuͦ berechten, die zuͦ tagen gestellt ist vnd der tag vß ist vnd g’ichtig ist.
Merk, a. a. O. ;
Schmidt, Hist. Wb. Elsaß ;
5.
›etw. (ein Vergehen, Verbrechen) im Laufe einer amtlichen oder gerichtlichen Handlung, auch aufgrund von Folter eingestehend, e. S. geständig, etw. zugebend (jeweils von Personen, vereinzelt von Handlungen)‹; verschoben: ›gestanden (z. B. von einem
frevel
)‹;
vgl.  2.
Nahezu ausschließlich wobd. belegt.
Phraseme:
gichtig und richtig
2 ›geständig und wahrheitsentsprechend‹;
auf gichtigen mund
›auf ein Geständnis hin‹.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 1,  5,  2, ,  2; vgl.  2.
Gegensätze:
(Adj.) 2, (s. v.  2), , .
Syntagmen:
j. g. sein / werden
(mehrfach),
j. e. S
. (Gen., z. B.
des mordes / frevels, der worte, der schulden
)
g. sein
;
j. etw
. (Akk., z. B.
den frevel
)
g. werden, etw
. (
die messe
als Angeklagte)
g. sein, j. über etw. g. sein, jn. g. machen
(präd. Attr.);
der gichtige lehenherre / meister / mund
;
die gichtige antwort
; mit verschobener Bezugsgröße:
der frevel g. sein
.

Belegblock:

Grimm, Weisth. (
mosfrk.
,
v. 1350
):
daz eyn Franke den andern sall durch reicht eins schaichs und eins mords gychtig machen.
Jerouschek, Nürnb. Hexenh.
8v, 35
(
obd.
,
1491
):
wa sy in der ersten stunden der gefengknus nit guchtig ist klain oder groß auch kain trehen wassers aus iren augen das ist gespenst des teüfels.
Merk, Stadtr. Neuenb. (
nalem.
,
1491
):
der einen frevel schuldig und gichtig wer, der sol zuͦ vor an solichen frevel richten oder deshalb der amptlúten willen behalten. Wurde aber iemande, [...], umb einen frevel, der noch nit mit recht usfúndig noch gichtig wer [...], angezogen, dem [...].
V. Anshelm. Berner Chron. (
halem.
,
n. 1529
):
dass si iren altschultes Arsent uss der friheit namen, zuͦm rathusweibel Peter Jenne in turn legten und pinlich si bed der sachen gichtig machten.
Welti, Stadtr. Bern (
halem.
,
1539
):
So aber einer, der eins freuels gezigen vnd darumb beclagt nit gichtig würt, so [...].
Bächtold, N. Manuel. Krankh.
218, 30
(o. O.
1528
):
ob die Mess
[als Angeklagte]
nit gichtig und anred wölte sin irer ansprach, so wöllend sie alle guͦten propheten zuͦ zügen stellen.
Jörg, Salat. Reformationschr.
295, 18
(
halem.
,
1534
/
5
):
sj wüstend nit wer es [crucifix ... ushin tragen] tan / haͤttend darumm ein gmein gsamlett / alls obs die sach erfragen wettend / da aber niemand gichtig / jmm waͤr aber gseytt / wenn [...].
Merz, Urk. Lenzb.
163, 17
(
halem.
,
1561
):
eine Erklärung,
ob er der worten gestendig vnd anred oder ob er sich selbiger könne oder wölle entsagen vnd nitt vßgestoßen han entsegen, begerind also gichtige oder lougnende antwort.
Maaler (
Zürich
1561
):
Loͤugnen / Nit gichtig oder anred seyn.
Müller, Nördl. Stadtr. (
schwäb.
,
1488
):
übeltäter, die uf gichtigen mund und waͧr taͧt verurtailt werden.
Jerouschek, a. a. O.
9r, 49
;
Welti, a. a. O. ;
6.
›lahm, verletzt, verwundet (von Personen); geschwollen, schmerzhaft (von einer kranken Stelle)‹;
vgl.  2.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.), , , , ; vgl. (Adj.) 12.

Belegblock:

Bechstein, M. v. Beheim. Evang. Mt. (
osächs.
,
1343
):
si trûgen ime [Jhêsus] inkegin alle [...] di gichtigen
[
Mentel
1466:
litsuchtigen
; 1475
2
–1518:
lamsüchtigen
;
Froschauer
1530:
die der schlag hatt getrofen
;
Eck
1537:
brüchigen
;
Luther
1545:
Gichtbrüchigen
],
und her machte si gesunt.
Keil, Peter v. Ulm
203
(
nobd.
,
1453
/
4
):
rür es gar wol zusamen vnd smir die gichtig stat do mit.
Voc. Teut.-Lat.
l iiijv
(
Nürnb.
1482
):
Gichtiger od’ gichtsuchtiger. paraliticus.
Kurrelmeyer, Dt. Bibel (
Straßb.
1466
):
er [jhesus] sprach zuͦ dem litsuchtigen
[Var. 1483-1518:
gichtigen
;
Luther
1545, Mt. 9, 2:
Gichtbrüchigen
].
Koppitz, Trojanerkr. (Hs. ˹
noschweiz.
,
15. Jh.
˺):
Übel unde gichtig | Wurden uff der hayde | Die kamff genossen bayde.
Gerhardt, Meister v. Prag
187, 21
;
7.
›wütend, zornig, erbost‹.
Bedeutungsverwandte:
(Adj.) 5, (Adj.) 1,
1
,  3.

Belegblock:

Erben, Omd. Chrestomathie
27, 29
(
omd.
,
1. H. 15. Jh.
):
Alzo wart he czornyg vnd gychtyg vnd ylte czu male sere vf den gebuer vnd slug gar hefftyg vf en.